Für einen rationalen Klima-Diskurs

Hans-Werner Sinn

Leserbrief zur Reaktion auf die in dem Artikel „Ein Plädoyer gegen Alleingänge in der Klimapolitik“ (F.A.Z. vom 24. August) vorgelegten Argumente, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. September 2023, Nr. 210, S. 21.

Lion Hirth hat einen flotten Artikel geschrieben („Hans-Werner Sinns Klimaskepsis im Realitätscheck“, F.A.Z. vom 28. August), der die gängigen Narrative der europäischen Klimabewegung wiederholt. Sein Artikel schwebt aber leider an den von mir vorgetragenen Fakten vorbei. Es ging mir doch darum, die Klimapolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen, indem ich den Blick von unseren verzweifelten Einsparbemühungen beim Öl auf das Extraktionsgebaren der OPEC lenkte.

Wenn wir uns kasteien, unseren Lebensstandard durch Verbrennerverbote senken und zudem noch eine extrem wettbewerbsfähige Autoindustrie durch staatliche  Produktionsverbote kaputt machen, sollte man hoffen, dass dabei für das Klima wenigstens ein bisschen herausspringt. Das ist aber nicht so.

Vier Jahrzehnte lang fuhren bei Nachfrageeinbrüchen von Teilen der Welt die Tanker einfach nur anderswohin, wo das Öl zu fallenden Preisen vollständig verbrannt wurde. Erst die Coronakrise wirkte wie ein Gegenkartell, das die OPEC in die Knie zwang, weil alle Nachfrageländer von der Pandemie erfasst waren. Also ist ein klimapolitischer Alleingang beim Öl sinnlos, sofern er sich der Nachfragekürzung bedient, während ein Klimaklub wirken würde. Was sagt Lion Hirth dazu? So gut wie nichts.

Sein Hinweis, dass sich weltweit im Bereich grüner Technologien einiges tue, „während es im ökonomischen Lehrbuch Klimapolitik gar nicht geben dürfte“ unterstellt mir Positionen, die ich nicht habe, und suggeriert Erfolge, die es für den von mir betrachteten Ölmarkt nicht gibt. Wo zeigt sich denn bei der Graphik zur Ölextraktion, dass sich weltweit im Bereich grüner Technologien etwas tut? Tatsächlich hinterließ lediglich Corona in der Grafik Spuren!

Lion Hirth nennt meine Forderung nach einer internationalen Kooperation, die, wie Reiner Schmidt („Die Dimension des Klimaschutzes“, F.A.Z. vom 4. September) betont, auch das Verfassungsgericht erhebt, „fast naiv“ und meine empirische Analyse „theoretisch“. Zudem ergeht er sich in abenteuerlichen Rechnungen zur klimapolitischen Vorteilhaftigkeit mit Braunkohlestrom betriebener Wärmepumpen im Vergleich zur Gasverbrennung, die, ob richtig oder falsch, nichts mit meinem Argument zu tun haben, dass der Zusatzstrom, den die Elektromotoren in den Autos und Wärmepumen benötigen, „auch“ aus der Braunkohleverbrennung stammt und wegen des fehlenden Welthandels mit Braunkohle den weltweiten Gesamtausstoß an CO2 vergrößert.

Sein Artikel ist voller Unterstellungen über meine angebliche Ablehnung grüner Energien und elektrischer Motoren, obwohl ich doch im Kern nur den Unilateralismus und die damit verbundenen Totalverbote kritisiere. Man kommt sich vor wie der Ketzer, der es, bevor er sein Argument darlegt, versäumt, zuvor das grüne Glaubensbekenntnis herunterzubeten.

Es freut mich, dass andere Kommentatoren, unter ihnen Axel Ockenfels, der neue Direktor des Max-Planck-Instituts für die Erforschung von Gemeinschaftsgütern und die Klimaexpertin des deutschen Sachverständigenrates, Veronika Grimm, meine Skepsis bezüglich des eingeschlagenen europäischen Weges weitgehend zu teilen scheinen. Sie arbeiten unter anderem an der wichtigen Frage, was konkret geschehen muss, um einen Klimaklub auf den Weg zu bringen. Von der Lösung dieser Frage hängt das Schicksal der Menschheit in entscheidendem Maße ab.

Dankbar bin ich auch für die meisten anderen Beiträge, allen voran jenen des Lesers Christian Meyer-Laurin („Und wenn die Ölnachfrage sinkt?“, F.A.Z. vom 31. August), der zeigt, warum auch ein unvollständiger Klimaklub nützlich sein kann, der nur eine Teilgruppe von Ländern umfasst. Auch ein unvollständiger Klub würde verhindern, dass die Klubmitglieder opportunistisch auf mögliche Nachfrageeinbrüche im Rest der Welt reagieren.

Doch müssen es schon viele wichtige Länder sein, damit die Kompensation von konjunkturellen Nachfrageeinbrüchen nicht bereits innerhalb der Restgruppe stattfinden kann. Im Übrigen kann man ja Klimapolitik nicht darauf beschränken, auf Konjunktureinbrüche zu warten. Viele Länder braucht man braucht man im Klimaklub vor allem deshalb, damit man die anderen durch eine Handelsdiskriminierung zum Mitmachen zwingen kann. Ohne Russland und die USA, die aus verschiedenen Gründen nicht wirklich beim Pariser Abkommen dabei sind, sind durch das Abkommen gerade mal 17 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes gedeckelt. Dahinter stehen alle EU-Länder und noch ein paar andere grün gesinnte Länder wie beispielsweise Kanada oder Japan. Die Macht dieser Länder reicht bei weitem nicht. Nach meiner Einschätzung, die ich vielfach vertreten habe, müsste ein wirksamer Klimaklub neben den Europäern mindestens noch die USA, China und Indien umfassen. Brasilien ist mittlerweile so groß geworden, dass es ebenfalls mitmachen sollte.

Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass jenseits der klimapolitischen Utopien, die medial immer weiter hochgeschraubt werden, ein rationaler Diskurs möglich wird, der unserem Land einen wirksamen Beitrag zur Verlangsamung des Klimawandels ermöglicht. Professor Dr. Dr. Hans-Werner Sinn, München

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Weitere Leserbriefe zum Artikel „Ein Plädoyer gegen Alleingänge in der Klimapolitik“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, August/September 2023.

Artikel von Hans-Werner Sinn, „Ein Plädoyer gegen Alleingänge in der Klimapolitik“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. August 2023.