„Mehr Rente für Eltern“

Mit diesem so simplen wie radikalen Vorschlag will Hans-Werner Sinn die Geburtenrate steigern und die Altersversorgung retten. Woher das Geld kommen soll und was Kinderlose davon haben, erklärt der ifo-Chef im Interview.

RP Online, 20.07.2015

Herr Professor Sinn, Sie fordern für Eltern mit Kindern eine höhere Rente als für kinderlose Rentner. Stra-fen Sie damit nicht kinderlose Menschen zusätzlich ab – so schön ist es ja nun auch nicht, im Alter keinen Nachwuchs zu haben.

Hans-Werner Sinn: Nach meinem Vorschlag bleiben die gesetzlichen Renten und Pensionen der Kinderlosen vollauf erhalten. Niemandem wird etwas weggenommen. Es geht nur um eine Zusatzversorgung zur Ergänzung der Renten aus den bestehenden Systemen. Die Bundeskanzlerin hat kürzlich erklärt, dass man zusätzliche kapitalgedeckte Renten braucht, weil die normalen Renten nicht mehr reichen. Aber ich kann den Familien mit Kindern nicht auch noch zumuten, die Sparbeiträge für die Kapitaldeckung zu leis-ten. Das kann man nur den Kinderlosen zumuten. Eltern sollten deshalb im Alter von der Generation ihrer Kinder eine Zusatzrente bekommen. In der Jugend erbringt der eine Sparleistung, und der andere inves-tiert in seine Kinder. Im Alter bekommt der Sparer das Geld von seinem Konto, während der andere von der Generation seiner Kinder Geld bekommt.

Die normale Rente ohne Kinderzuschlag würde doch im Ergebnis sinken, wenn Eltern aus dem großen Topf der Rentenkasse Zuschläge bekämen.

So ist es. Genau deshalb sollen die Zuschläge eben nicht aus dem großen Topf kommen. Es geht um ein neues additives Rentensystem für Eltern, egal ob sie gearbeitet und selbst Beiträge gezahlt haben oder nicht. Ihre Leistung besteht in der Kindererziehung. Bezahlt werden die Zusatzrenten, die sie später bekommen werden, von der Generation ihrer Kinder, sofern diese arbeiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kinder als Selbstständige, Beamte oder Arbeitnehmer tätig sind. Tatsache ist freilich, dass das vorhan-dene Rentensystem in Schwierigkeiten kommen wird, denn wir werden in 20 Jahren trotz Zuwanderung rund 7,5 Millionen mehr Rentner und 8,5 Millionen weniger erwerbsfähige Personen haben. Diese verhee-rende demografische Entwicklung bedroht die Funktionsfähigkeit der staatlichen Sozialsysteme.

Kann der Staat die Rentenlücke nicht einfach mit noch höheren Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt ausgleichen?

Den Erwerbstätigen ist es egal, ob man die Abgaben Steuern oder Rentenbeiträge nennt.

Wie teuer müsste denn eine private Zusatzversicherung sein?

SEs kommt auf das Rechenmodell an. Ich gehe davon aus, dass wir Ersparnisse im Umfang von etwa acht Prozent der Bruttolöhne brauchen.

Das ist viel Geld!

SJa, aber das Geld ist ja nicht weg. Es bleibt jedem Einzelnen mit Zins- und Zinseszins erhalten, wobei ich zugeben muss, dass die eigenartige Politik der EZB den Zinseszinseffekt im Moment auf null gedrückt hat. Aber vielleicht wird sich manches junge Paar unter diesen Umständen doch für Kinder ent-scheiden, wenn es mit Kind dieselbe Zusatzrente erhält, als wenn es ohne Kind acht Prozent des Ein-kommens sparen muss.

Der Staat erzwingt so Familienplanung?

Nein, umgekehrt. Es geht nicht darum, den Staat bei der Familienplanung mitsprechen zu lassen, sondern ihn ein Stück aus der Familienplanung herauszunehmen, indem er wenigstens bei der Zusatzren-te aufhört, die Schaffenskraft der Kinder zu sozialisieren. Im herrschenden System profitieren kinderlose Rentner fast ebenso von den Beiträgen der Kinder wie Rentner mit Kindern. Daran soll sich ja auch nichts ändern. Nur würde ich dieses Prinzip nicht auch noch auf die Zusatzrente ausdehnen.

Kinderlose würden niedrigere Renten als Diskriminierung ansehen, da sie ja ebenso viel Geld eingezahlt haben wie die Eltern.

Noch einmal: Erstens verlieren die Kinderlosen keinerlei Ansprüche aus den bestehenden Systemen und zweitens werden ja nur sie die zusätzlichen kapitalgedeckten Renten bekommen. In der Jugend müs-sen sie sparen, ja. Aber die Eltern müssen ihre Kinder großziehen. Jeder trägt hier eine Last, und im Alter erhält jeder eine zusätzliche Rente.

Man könnte die Rentenbeiträge weiter erhöhen.

Das wird wohl auch passieren. Aber das heißt, dass man die Sozialisierung einer immer kleineren Nachkommenschaft vorantreibt und einer Schrumpfung der Kinderzahlen Vorschub leistet. Das führt mei-nes Erachtens zum Kollaps des Systems. Da finde ich den Weg über die kapitalgedeckte Zusatzrente besser. Wer keine Kinder hat, kann das bei der Kindererziehung eingesparte Geld anlegen, um sich so die Zusatzrente zu sichern, deren Zahlung er den Kindern anderer Leute in voller Höhe nicht zumuten kann. Das müsste die Devise für eine neue Rentenreform sein – nicht eine Politik der fortwährenden Beitragser-höhung für junge Menschen.

Soll der Staat Familiengründung auch grundsätzlich sehr viel mehr fördern?

Ja, da der Staat die Ertragskraft der Kinder sozialisiert, sollte er sich mehr an den Kosten der Kindererziehung beteiligen. Schauen wir nach Frankreich: Da gibt es eine viel bessere Versorgung mit Kin-dergärten und Kinderkrippen. Da werden Kinder einer Familie mit in das Steuersplitting einbezogen. Und während wir in Deutschland eher das erste Kind fördern, werden in Frankreich stärker das zweite und dritte Kind gefördert. Als Ergebnis haben wir eine deutlich höhere Geburtenquote bei unserem Nachbarn insgesamt und insbesondere in der Mittelschicht.

Kommen Ihre Vorschläge nicht viel zu spät, da die Geburten in Deutschland schon seit mehr als 30 Jahren stark zurückgehen?

Es stimmt, hätte Deutschland früher umgesteuert, könnten wir optimistischer in die Zukunft schauen. Die am stärksten besetzten Alterskohorten sind bereits dabei, als sogenannte Babyboomer-Generation in ihr sechstes Lebensjahrzehnt einzutreten. Diese Altersgruppen können keine Kinder mehr haben.

Wegen sinkender Kinderzahlen wird Vollbeschäftigung in Deutschland erwartet. Wird das nicht die Kassen der Sozialversicherungen füllen und das Rentenproblem lindern?

Das ist eine Milchmädchenrechnung. Die Alterung entfernt ja nicht nur Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt, sondern auch Arbeitgeber. Ich sehe nicht, wieso dadurch die Arbeitslosenquote sinken könnte. Uns drohen deutlich weniger Unternehmensgründungen. Und dies könnte die Sozialsysteme weiter belasten.

Wird Zuwanderung die drohende Rentenkrise verhindern?

Sicherlich wäre richtig gesteuertes Zuwandern ein wichtiges Instrument, um die Folgen der steigen-den Alterung zu lindern. Aber wir müssen realistisch sein. Bislang sind die Zuwanderer schlecht qualifiziert. Viele haben keine Schulausbildung, die Sprachbarrieren sind erheblich. Anstelle von Leuten, die viel staat-liches Geld kosten, brauchen wir qualifizierte Zuwanderer, die den Sozialstaat entlasten. Um das Verhält-nis zwischen Alten und Jungen auf dem jetzigen Niveau zu halten, müssten bis 2035 gut 30 Millionen kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich so viele gut qualifizierte Menschen finden werden. Aber den Versuch ist es wert.

Sie befürworten ein Punktesystem für Einwanderer?

Ja, die Politik sollte entscheiden, wen sie einwandern lässt. Wir könnten uns an der Praxis der USA oder Kanadas orientieren, wo Einwanderer mit einem Punktesystem in das Land gelassen werden. Es liegt im Interesse Deutschlands, sich die neuen Mitbürger selbst auszuwählen.

Das Interview führte Reinhard Kowalewsky