Scharfe Kritik an Hans-Werner Sinns Klima-Thesen

Johannes Pennekamp, Frankfurter Allgemeine Zeitung online, 1. August 2023.

Das Verbrennerverbot beschleunigt den Klimawandel, behauptet der frühere Ifo-Präsident – und sorgt damit für Aufruhr. Der Widerspruch renommierter Ökonomen fällt deutlich aus. Es gibt aber auch Zustimmung.

Auch rund sieben Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident des Münchener ifo Instituts drängt Hans-Werner Sinn mit streitbaren Thesen in die Öffentlichkeit. In der „Bild“-Zeitung behauptete der 75 Jahre alte Forscher, dass die Energiewende und nationaler Klimaschutz alles nur schlimmer mache. Zu dem in der EU im Jahr 2035 anstehenden Aus für neue Benzin- und Dieselautos sagt Sinn: „Per saldo beschleunigt sich also der Klimawandel wegen des Verbrennerverbots.“ Die Maßnahme sei unnütz und ruiniere die deutsche Automobilindustrie, sie senke den Lebensstandard hierzulande und subventioniere andere Länder, allen voran China.

Wenn Deutschland künftig weniger Öl kaufe, lande mehr davon auf den Weltmärkten. Der Weltmarktpreis falle, „und andere kaufen es“, so Sinn. Das gelte genauso für Kohle und andere fossile Rohstoffe. Der CO2-Ausstoß könne nur reduziert werden, wenn alle oder fast alle Staaten mitmachen. „Leider haben sich beim Pariser Abkommen nur wenige Länder zu konkreten Beschränkungen verpflichtet“, sagt Sinn. „Was wir nicht verbrauchen, verbrauchen sonst andere.“

Sinn hält es angesichts möglicher „Dunkelflauten“ außerdem für blauäugig, im Strommix künftig allen voran auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zu setzen. „Wind- und Sonnenstrom werden uns nicht alleine versorgen“, zitiert ihn die Boulevardzeitung. Man könne „die Energiewende leider nicht ohne fossile Energieträger bestreiten, weil wir auf die Kernkraft verzichten“.

Von Zustimmung bis Ablehnung

Die F.A.Z. hat führende deutsche Volkswirte und Energieökonomen mit Sinns Thesen konfrontiert. Die Reaktionen fallen teils sehr ablehnend aus, es gibt aber auch Zustimmung. Das Bundesministerium für Wirstschaft und Klima wollte sich auf Anfrage nicht zu den Thesen Sinns äußern.

„Bei aller Wertschätzung für meinen Kollegen Sinn: Mit dieser Behauptung liegt er falsch“, sagte Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrates, zum vermeintlich klimaschädlichen Verbrenner-Aus. Moritz Schularick, der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, sagte: „Es gibt schon genug Verkrustung und Beharrung in diesem Land. Jetzt nach Argumenten zu suchen, warum wir am Ende doch so einfach so weitermachen können, wie wir es schon immer gemacht haben, vertieft nur die Probleme.“

Zustimmender äußerte sich Sachverständigenratsmitglied Veronika Grimm: Klimaschutz müsse global gedacht werden. „Nur wenn es letzten Endes weltweit attraktiver ist, auf Basis klimafreundlicher Technologien zu wachsen, können wir als Menschheit Erfolg haben.“

Zu der These, dass ein geringerer Ölverbrauch in Deutschland verpufft, weil dann anderswo mehr billiges Öl verbraucht wird, sagte Ökonomin Schnitzer: „Selbst wenn die ölexportierenden Länder ihr Öl weltweit billiger vermarkten, heißt das nicht, dass sie insgesamt mehr fördern als bisher, der Klimaschaden wird also nicht größer.“ Er werde vielmehr geringer, wenn man ihnen alternative Erwerbsquellen anbiete, beispielsweise den Export von Wasserstoff. Das Verbrennerverbot schade zudem nicht der deutschen Autoindustrie.

„Das Gegenteil ist der Fall“, sagte Schnitzer. Geschadet habe ihr, dass die Politik zu zögerlich auf den Umstieg auf Elektromobilität gesetzt habe und die Automobilindustrie ihr Geschäftsmodell nicht entschieden genug umgebaut habe. „Die Quittung erhält sie jetzt.“ Tesla und die chinesischen Hersteller liefen den deutschen Herstellern den Rang ab.

„Grüner Flatterstrom“

Der Kieler Präsident Schularick entgegnete Sinn, dass es nicht richtig sei, dass die Emissionen in Europa wegen Kohleverfeuerung und Atomausstieg steigen. „Der europäische Emissionshandel funktioniert“, sagte Schularick. „Auch im letzten Jahr haben wir trotz der Gaskrise und dem Verfeuern von Kohle insgesamt in Europa weniger CO2 emittiert.“ Natürlich sei der Klimawandel ein globales Problem, und Deutschland sei auf internationale Koordination angewiesen. „Aber in vielen Bereichen sind grüne Energien bereits so wettbewerbsfähig, sodass sie auch im Rest der Welt die fossilen Energieträger verdrängen werden, sodass sich die Frage gar nicht stellt“, sagte der Volkswirt.

Lion Hirth, Energieökonom an der Hertie School in Berlin, widersprach Sinns These vom „grünen Flatterstrom“ aus erneuerbaren Energien. „Sinns seit Jahren wiederholte Behauptung, erneuerbare Energien könnten keine stabile Energieversorgung sicherstellen, erinnert mich an die Kampagnen der Energiekonzerne aus den 1990ern“, sagte Hirth. Natürlich könnten Wind und Sonne, im Verbund mit Netzen, Speichern und einem intelligenten Strommarkt, eine sichere Stromversorgung garantieren.

„Das zeigen nicht nur zahllose wissenschaftliche Studien – das sagen ja auch Leute wie RWE-Boss Krebber“, so Hirth. Sinn finde nicht nur das Verbrennerverbot sinnlos, sondern im Grunde jede deutsche oder europäische Klimapolitik. „Diese Skepsis stammt aus theoretischen Überlegungen, die zwar interessant sind, aber einem Realitätscheck nicht standhalten“, sagte Hirth.

„Das Klimaproblem ist ein Kooperationsproblem“

Auf mehr Zustimmung stieß Sinn bei den Energieökonomen Veronika Grimm und Axel Ockenfels. Ockenfels, der neue Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, sagte: „Es ist richtig: Das Klimaproblem ist im Kern ein Kooperationsproblem.“ Unilaterale Anstrengungen könnten den Kooperationsanreiz für andere Länder reduzieren. Wenn eingespartes Öl im Verkehr einfach woanders verkauft werde oder Unternehmen wegen besonders ambitionierter nationaler Klimapolitik ins Ausland abwandern, „subventionieren die Anstrengungen der Klima-Altruisten die CO2-Emissionen der Klima-Egoisten und senken damit auch deren Anreiz, zu kooperieren“, erklärte Ockenfels. Der Klimaeffekt sei dann „sehr gering oder sogar negativ“.

Das heiße aber nicht, das Deutschland allein nichts tun könne oder dass ein Verbrennerverbot notwendigerweise keinen Effekt habe. „Zum einen gibt es Ansätze, wie internationale Kooperation gelingen kann“, sagte Ockenfels mit Verweis auf Initiativen wie den Klimaklub. Zweitens könne Deutschland mithelfen, sichere grüne Energie billiger zu machen als fossile Energie.

Gelinge dies, liege es fortan im Eigeninteresse von Staaten und Unternehmen, fossile Ressourcen in der Erde zu lassen. Das sieht auch Ökonomin Grimm so. „Je schneller wir klimafreundliche Technologien günstig machen, desto einfacher wird es.“ Das gelte nicht nur für erneuerbaren Strom, sondern vor allem für Wasserstoff und darauf basierende Energieträger. „China und die USA haben das übrigens erkannt und treiben die Entwicklung voran“, so die Forscherin.

Richtig sei, „dass öffentliche Gelder viel besser angelegt sind in Aktivitäten, die den globalen Klimaschutz stärken“. Als Beispiel nannte Grimm Energiepartnerschaften. Wasserstoff könne beispielsweise aus anderen Ländern importiert werden, aber gleichzeitig sollten die Anlagen vor Ort dann so konfiguriert sein, dass auch in den Partnerländern auf Basis grüner Energie gewirtschaftet werde. Dies sei aufgrund der „sehr national fokussierten Klimaschutzdebatte nur schwer vermittelbar“. Insofern habe Sinn durchaus recht, „dass der verengte Fokus auf den nationalen und europäischen Klimaschutz am Ende dem Klimaschutz schadet“.

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