Politik der Verschleierung

Prof. Dr. Joachim Scheide, Leserbrief, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. August 2020.

Zum Interview mit Frank Westermann „Vor allem Kapitalflucht treibt den Target-Saldo“ (F.A.Z. vom 10. August): Das Interview verdeutlicht, dass es sich bei den Targetsalden keineswegs um eine Bagatelle handelt, wie uns zum Beispiel die EZB weismachen will. Was würde denn geschehen, wenn es die Währungsunion nicht gäbe? Diejenigen Länder, aus denen das Kapital „flieht“, würden eine massive Abwertung ihrer Währung erfahren, dazu noch einen kräftigen Anstieg der Zinsen. Die Ursachen für die Kapitalflucht liegen auf der Hand, sie sind vor allem in der schlechten Wirtschaftspolitik der betreffenden Länder zu suchen. In der Währungsunion fehlt indes das mögliche marktwirtschaftliche Korrektiv, nämlich das Signal über die relativen Preise. Ermöglicht wird die „lukrative Kapitalflucht“ allein durch die Notenbanken; dies ist eine der Kernaussagen des Interviews. Und diese Politik der Verschleierung durch künstlich niedrige Zinsen soll keine negativen Konsequenzen haben? Es kann doch nicht Sinn der Währungsunion sein, fundamentale Änderungen zu verhindern. Ferner: Welches Druckmittel hätte denn eine deutsche Regierung, wenn sie in Europa beispielsweise eine mehr marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik durchsetzen wollte? Zugegeben, man kann sich ein solches Szenario derzeit kaum vorstellen, bislang machen wir ja jeden teuren Unsinn in Europa (verkauft als „Solidarität“) mit. Aber irgendwann kann es den deutschen Steuerzahlern mal zu viel werden mit der Haftung für andere Staaten. Könnte Deutschland dann damit drohen, die Währungsunion zu verlassen? Wohl kaum, denn dann müssten enorme Verluste realisiert werden. Also wird die Politik, alle Probleme mit mehr Geld zuzudecken, einfach fortgesetzt. Das war bestimmt nicht die Idee für die Währungsunion.

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