ifo Standpunkt Nr. 102: Hände weg!

Deutschland hat seinen Banken 550 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, wovon allein 100 Milliarden für die Hypo Real Estate bestimmt sind. Die beiden Konjunkturprogramme kosten 80 Milliarden Euro, und die Bürgschaftsprogramme zugunsten der deutschen Industrie 100 Milliarden Euro.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 5. März 2009

Hinzu kommen noch Gelder der Bundesländer für einzelne Landesbanken in Höhe von gut 30 Milliarden Euro. In der Summe geht es um etwa 760 Milliarden Euro. Selbst wenn nur ein Drittel der in dieser Summe enthaltenen Bürgschaften in Höhe von 570 Milliarden Euro zum Schluss als Kosten für den Staat verbliebe, würde die Gesamtlast aller Programme bei 380 Milliarden Euro liegen. Das entspricht etwa 127 Transrapidstrecken von je 3 Milliarden Euro zum Münchner Flughafen, 200 fünfjährigen Exzellenzinitiativen für alle Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland oder rund 60.000 Kilometer neuer Autobahnen mit sechs Fahrstreifen.

Die Schuldenquote Deutschlands, also das Verhältnis von Schulden und BIP, lag zuletzt bei etwa 64%, was schon mehr ist als die 60%, die der Maastrichter Verlag erlaubt. Und die Zinsen auf diese Schulden lagen bei 69 Milliarden Euro oder 6,3% der gesamten Staatsausgaben bzw. 2,8% des BIP. Wenn die genannte Summe von 380 Mrd. Euro per Kredit finanziert wird, steigt die Schuldenquote auf 79%, und die jährlichen Zinsen steigen unter sonst gleichen Bedingungen auf 85 Milliarden Euro, was 7,7% der Staatsausgaben oder 3,4% des BIP sind. Die Zinslastquote bezüglich des BIP liegt damit über den 3%, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt als maximale Nettoneuverschuldung zulässt. Die Bundesrepublik ist nun definitiv in der Phase ihrer Geschichte angekommen, wo die Schulden anfangen, weh zu tun.

Die zusammenbrechende Konjunktur lässt dennoch keine andere Wahl, als neue Schulden zu machen. Das Rettungspaket für die Banken ist erforderlich, denn ohne die Banken kann die Wirtschaft nicht existieren; dazu gibt es keine Alternative. Auch ist das Konjunkturprogramm vom Grundsatz her erforderlich, trotz aller Mängel im Detail. Manche linke Ökonomen wollten Konjunkturprogramme mitten im Boom der Jahre 2006 und 2007. Das war absurd. Aber heute steht die Welt in einer keynesianischen Krise und braucht deshalb die keynesianische Medizin.

Was Deutschland freilich nicht braucht, sind strukturerhaltende Politikmaßnahmen, wie sie nun zunehmend unter dem Deckmantel der Konjunkturpolitik gefordert werden. Das Bürgschaftsprogramm ist bereits ein großer Sündenfall, und nun will die Politik gezielt einzelne Unternehmen retten. Opel, Airbus, Schaeffler, Rosenthal, Märklin, und wie sie alle heißen, sind aber erst der Anfang. Es werden noch viele Firmen in Bedrängnis kommen und um Staatshilfe bitten. Der Staat kann diesen Bitten gar nicht nachkommen, denn so viel Geld hat er gar nicht. Und selbst, wenn er es hätte, so würde er den natürlichen Ausleseprozess verfälschen, der eine der großen Stärken der Marktwirtschaft ist. Zu jeder wirtschaftlichen Aktivität, die stattfindet, gibt es vielfache technische Varianten und Alternativen, die auch hätten stattfinden können, aber ökonomisch nicht effizient sind. Diese Varianten auszumerzen und nur die sinnvollen Dinge herauszufiltern begründet die Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Ordnung über die Planwirtschaft.

Sicher brauchen Firmen Geld, um ihre Arbeiter, das eingesetzte Kapital und die Vorprodukte zu bezahlen. Aber dieses Geld muss von ihren Kunden kommen. Die Kunden sind es, die entscheiden, was produziert wird und was nicht. Den politischen Prozess an die Stelle der Kunden zu setzen heißt, dass der Staat den Bürgern das Geld wegnimmt und es an ihrer Stelle ausgibt. Dabei ist er heillos überfordert, wie die kommunistischen Systeme, die ja lange genug ausprobiert wurden, gezeigt haben. Weder kann die Politik die Menge an Informationen sinnvoll verarbeiten, die für sachgerechte Kaufentscheidungen nötig sind, noch haben die Politiker, Firmen und die von der Strukturpolitik betroffenen Bürger die nötigen Anreize, sich effizient zu entscheiden. Nicht wer die besten Güter herstellt, wird in der Staatswirtschaft gerettet, sondern wer am lautesten schreit, wer am größten ist und wer den größten politischen Einfluss hat.

Das heißt nicht, dass der Markt alles richten kann. Er kann zum Beispiel die Bereitstellung der öffentlichen Infrastruktur nicht sinnvoll organisieren. Auch kann er bestimmte Informationsprobleme oder auch Externalitäten verschiedenster Art nicht selbst richtig erfassen. Aber um all das geht es bei der Rettung der Firmen, von denen nun die Rede ist, nicht. Sie produzieren allesamt normale, marktfähige Güter, bei denen der Staat über ein allgemeines Konjunkturprogramm hinaus nichts zur Verbesserung der Kaufentscheidungen der Bürger beisteuern kann.

Man stelle sich nur einmal vor, die Politik und nicht der Markt hätte seit dem 19. Jahrhundert die Wirtschaftsstruktur bestimmt und den regelmäßig in den konjunkturellen Krisen stattfindenden Strukturwandel verhindert. Dann wären immer noch zwei Drittel aller Deutschen in der Landwirtschaft beschäftigt, und wir wären noch genauso so arm wie damals. Die Dynamik der Marktwirtschaft resultiert aus dem Prozess der fortwährenden schöpferischen Zerstörung einzelner Firmen, die nicht mehr gebraucht werden. Die dort gebundenen Produktionsfaktoren werden für neue Dinge freigesetzt, die es sonst nicht gäbe. Gerade diese schöpferische Zerstörung im Kleinen hat dieser Wirtschaftsform die Kraft gegeben, den Kommunismus und die daraus resultierende Gewaltherrschaft zu überwinden. Also Finger weg von den Firmen.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Heillos überfordert“, WirtschaftsWoche, Nr. 10, 2. März 2009, S. 43.