Griechenlands Schicksal lehrt das Sparen

Interview mit Hans-Werner Sinn, www.faz.net, 01.07.2015

Nach den Bargeld-Beschränkungen in Griechenland setzt der Ökonom Hans-Werner Sinn darauf, dass Europa mit dem Geld besser umgeht.

Die Staatspleite Griechenlands könnte sich für die Eurozone als unerwartet segensreich herausstellen. Nach Ansicht des Ökonomen Hans-Werner Sinn dürfte das Scheitern Athens andere Länder davon abhalten, sich zu überschulden und über ihre Verhältnisse zu leben. „Die Griechenlandkrise ist bei allen Problemen, die sie mit sich bringt, insofern heilsam, als sie den Regierungen klarmacht, dass es so nicht geht: dass die Politik der Überschuldung gefährlich ist, weil man zum Schluss doch in den Staatskonkurs kommt“, sagte Sinn im Gespräch mit FAZ.NET.

Griechenland und andere Defizitsünder spürten jetzt, dass die Solidarität der Geldgeber ihre Grenzen habe. „In jeder Krise liegt, bei allen Schrecken, auch eine Chance: dass man in Zukunft mehr Disziplin in der Eurozone wahren kann“, sagte Sinn, der das Institut für Wirtschaftsforschung Ifo in München leitet.

Er erinnerte daran, dass Athen viel zu spät zum Sparen verpflichtet worden sei. Stattdessen habe die Staatengemeinschaft dem Land 330 Milliarden Euro an Krediten gewährt, rund 185 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes (BIP). Zum Vergleich: Deutschland habe nach dem Krieg Marshall-Hilfen von 5,2 Prozent des BIP von 1952 erhalten. „Das heißt, die Staatengemeinschaft hat an Griechenland schon 36 Marshallpläne gezahlt“, sagte der Wissenschaftler.

„Wir müssen Verhältnisse wie in Argentinien befürchten“

Er zeigte sich überrascht über das für Sonntag angekündigte Referendum in Griechenland. Dass die Europäische Zentralbank (EZB) daraufhin „den Stecker gezogen hat“, indem sie ihre Notkredite nicht weiter aufstockte, hält er indes für überfällig. Denn damit habe „die Selbstbedienung aus der gemeinschaftlichen Druckerpresse“ endlich ein Ende. Seit dem Schritt der EZB sind die griechischen Banken geschlossen, jeder Einwohner erhält am Geldautomaten nur 60 Euro am Tag, zudem gelten Kapitalverkehrskontrollen.

„Wir müssen wegen des Konkurses befürchten, dass Verhältnisse wie in Argentinien eintreten, wo es zu einer Versorgungsknappheit kam“, warnte Sinn. Aus dieser Misere gebe es, wie in Südamerika, nur einen Ausweg: die Abwertung der Währung. Im Falle Griechenlands würde das bedeuten, die Drachme wieder einzuführen.

Sinn hält den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro seit langem für den richtigen Weg und glaubt, dass dieser Schritt jetzt näher gerückt ist. Falls das griechische Volk am Sonntag das Angebot der Institutionen endgültig ablehne, sei der „Grexit“ wahrscheinlich, weil dem Land früher oder später das Euro-Geld ausgehen werde. Weitere Verhandlungen würden dann vielleicht noch stattfinden, doch vermutlich nicht zu einem Ergebnis führen. „Es gibt nach einer Ablehnung des Angebots keine realistische Alternative mehr für den Austritt und die Abwertung.“

Dieser Weg sei nach einem Konkurs der beste für das Land, wie das Beispiel in Argentinien und anderen Staaten zeige: „Drei Viertel der Länder, die nach einem Staatskonkurs abwerten mussten, haben schon bald danach ein starkes Wirtschaftswachstum erlebt. Das darf auch Griechenland erwarten.“

Der Vorteil des Grexit gegenüber bloßen Preis- und Lohnsenkungen sei, dass auch die Verbindlichkeiten in Langfristkontrakten – etwa für Mieten und Kredite – sänken. Nur so sei eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands sozialverträglich möglich. „Nur der Weg über eine eigene Währung erlaubt einen selbst erarbeiteten, nicht länger auf Pump basierenden Aufschwung“, sagte Sinn.

Den Vorstoß des griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis, notfalls gegen die Euro-Gruppe und die EZB zu klagen, hält der Ifo-Chef für wenig erfolgversprechend. Die Euro-Mitgliedschaft bedeute nicht das Recht, sich an der Druckerpresse selbst zu bedienen, wie Varoufakis glaube. Und sie bedeute auch nicht die Pflicht anderer Länder, Griechenlands Wirtschaft mit fiskalischen Krediten aufrecht zu erhalten. Richtig sei aber, dass nur Griechenland selbst entscheiden könne, ob es im Euroverbund bleiben wolle.

Das Argument, dass es ohne EU-Austritt keine rechtliche Grundlage für einen Grexit gebe, sei falsch. „Wenn Griechenland austreten will, werden alle anderen Länder diesen Schritt einstimmig billigen, ohne Griechenland zugleich aus der EU auszustoßen. Wer solch ein Horrorszenarium an die Wand malt, argumentiert unglaubwürdig.“