„Krise holt Handel ein“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Lebensmittel Praxis, 13.03.2009, Nr. 5/2009, S. 22-23

Blindes Energiesparen rettet das Klima nicht, sagt Ifo-Chef Hans-Werner Sinn beim Unternehmertag Lebensmittel.

Der Chef des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, glaubt nicht an ein schnelles Ende der Krise und rechnet im Herbst mit einem dritten Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Der Volkswirt im Gespräch mit der LEBENSMITTEL PRAXIS während des gemeinsamen Kongresses der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie und des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels in Köln.

LP: Herr Sinn, der Lebensmittelhandel scheint bisher die globale Finanzkrise wenig zu spüren. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?

Hans-Werner Sinn: Die Binnennachfrage stimmt nach wie vor noch. Genau wie die Baubranche ist der Handel bisher von der Krise wenig betroffen. Es ist aber damit zu rechnen, dass die Konsumneigung in der zweiten Jahreshälfte mit steigender Arbeitslosigkeit abnimmt. Dann hat die Krise auch den Handel eingeholt.

Ist in diesem Jahr mit einer Erholung der Konjunktur zu rechnen?

Nein. Die Krise wird 2010 voll auf den Arbeitsmarkt durchschlagen, wenn auch die Wirkung der Kurzarbeit verpufft. Leider wird uns die Krise noch länger begleiten.

Muss die Politik mehr für die Stützung der Konjunktur tun?

Im Moment stützt der Staat ja mit einer Summe von bald 800 Mrd. Euro. Das ist eine Menge, aber es wird nicht reichen. Ich rechne mit einem dritten Konjunkturprogramm im Herbst des Jahres. Bei Konjunkturstützungsmaßnahmen sollten Investitionen in die Infrastruktur im Vordergrund stehen. Solche Programme können aber nicht ewig fortgerührt werden. Keynesianische Eingriffe zur Nachfragebelebung wirken wie starker Kaffee. Sie machen wach, aber sie sind nicht gesund. Wir müssen schon aufpassen, dass wir nicht dauerhaft tiefer in die Staatsverschuldung rutschen.

Sehen Sie die Gefahr einer Inflation?

Nein, ganz im Gegenteil. Wenn die Menschen ihr Geld bei sinkender Wirtschaftsleistung horten und nicht ausgeben und gleichzeitig die Preise durch ein Überangebot der Waren sinken, besteht die Gefahr der Deflation. Wir haben in Japan erlebt, dass das Gespenst der Deflation durchaus real werden kann. Wie groß diese Gefahr für Deutschland wirklich ist, lässt sich aber schwer einschätzen.

Verrennt sich der Staat im Augenblick? Erst die Banken, dann die Automobilbranche, was kommt danach?

Die Banken müssen gestützt werden, um unsere Volkswirtschaft mit Geld zu versorgen. Wenn der Staat aber bei Opel für 3,3 Mrd. Euro geradesteht, dann steckt er in jeden Arbeitsplatz dort rund 110.000 Euro. Damit wird aber der Markt ausgehebelt. Der Staat darf die Wirtschaft nicht bestimmen. Markt funktioniert, wenn Unternehmen für ihre Leistung vom Nutzer entschädigt werden. Aber jetzt holt sich der Staat das Geld vom Steuerzahler und leitet es an die Unternehmen weiter. Das ist Geldverschwendung und eine Missachtung der Konsumentensouveränität.

Das sollte doch auch ein Finanz- und Wirtschaftsminister wissen.

Sicher, und bei den Banken wird das Rettungspaket der Regierung ja nicht mal angenommen. Die Deutsche Bank will das gar nicht und schraubt lieber Geschäftsvolumen herunter, was die Kreditvergabe zunehmend erschwert. Richtig wäre, die Banken zu zwingen, ihr Eigenkapital spürbar zu erhöhen. Dann käme der Geldkreislauf in Schwung, und Opel könnte sich das nötige Geld am Kapitalmarkt besorgen.

Sie haben beim Unternehmertag Energiesparen als nutzlos bezeichnet...

Weil Energie nicht gespart wird, wenn eine Teilmenge von Ländern es tut. Wir werden das Klima nicht retten, wenn wir allein agieren. Unsere Sparsamkeit senkt nur den Weltmarktpreis für Öl. Dann freuen sich andere und verbrennen genau das Öl, das wir einsparen. Und wenn sich die Ölscheichs durch die Politik bedroht fühlen, weil sie um ihre zukünftigen Preise fürchten müssen, werden sie ihr Öl nur noch schneller aus dem Boden holen - Er- gebnis: Die Erde erwärmt sich noch schneller. Die deutsche Energiepolitik ist naiv, weil sie die globalen Zusammenhänge außer Acht lässt.

Text: Markus Oess, Reiner Mihr