“Eine Rolle rückwärts des Staates“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Der Tagesspiegel, 14.11.2007

Ifo-Chef zur Änderung beim Arbeitslosengeld I

Der Tagesspiegel: Die Koalition wird die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I für Ältere verlängern – eine gute Sache für über 50-Jährige, oder?

Hans-Werner Sinn: Nun, es ist doch schön, länger Geld zu erhalten, ohne dafür arbeiten zu müssen.

Und ist es auch eine gute Sache für die deutsche Arbeitsmarktpolitik?

Weniger, der Staat hat nun bei der Agenda 2010 eine Rolle rückwärts gemacht.

Ist damit der Anfang für weitere Rücknahmen gemacht?

Das glaube ich nicht. Die Neuregelung der Bezugsdauer für Ältere macht die Agenda 2010 nicht kaputt. Sie ist nur eine Nachjustierung, auch wenn sie die Philosophie des Forderns und Förderns verdreht. Die Menschen sollten mehr Geld fürs Mitmachen und nicht fürs Wegbleiben erhalten.

Das heißt, mit einer längeren Bezugsdauer wird die Arbeitslosigkeit gefördert?

Klar ist, dass die Hartz-Reformen eine Mobilisierung des Arbeitsmarktes gebracht haben, von der vor allem die Älteren profitiert haben. 2006 gab es bei den über 50Jährigen einen Beschäftigungszuwachs von 4,9 Prozent, im Durchschnitt waren es nur 1,6 Prozent. Eine kürze Bezugsdauer schafft tatsächlich neue Jobs.

Wie entstehen denn neue Arbeitsplätze durch eine kürze Bezugsdauer?

Das Jobwunder am deutschen Arbeitsmarkt ist mit neuen niedriger bezahlten Jobs, vor allem im Bereich der Zeitarbeitsfirmen, erkauft worden. Durch die verkürzte Dauer das Arbeitslosengelds waren die Menschen bereit, auch solche Jobs anzunehmen – und genau deshalb konnten diese Jobs geschaffen werden.

Die längere Bezugsdauer soll kostenneutral finanziert werden. Wie geht das?

Gar nicht. Eine solche Finanzierung kann nicht kostenneutral sein, denn Ältere erhalten nun statt des Arbeitslosengelds II länger das Arbeitslosengeld I. Weil diese Leistung aber deutlich höher ist, wird es auf jeden Fall teurer werden.

Also ist die Neuregelung ein Fehler?

Grundsätzlich finde ich es richtig, bei der Arbeitslosenversicherung ein Senioritätsprinzip einzubauen. Wer viele Jahre seine Beiträge gezahlt hat, soll dann auch etwas länger das Arbeitslosengeld erhalten als jemand, der erst seit kurzem einzahlt oder immer wieder arbeitslos war. Aber das hätte man kostenneutral realisieren müssen, bei jüngeren Arbeitslosen hätte man die Zeitdauer kürzen müssen.

Dann macht die Koalition es ja fast richtig.

Wenn ein 58-Jähriger in den letzten 15 Jahren dauerhaft in das System eingezahlt hat, habe ich keine Bedenken, ihm 24 Monate das Arbeitslosengeld I zu zahlen.

Und wie würden Sie das finanzieren?

Wie gesagt, durch Kürzungen bei Jüngeren. Der zweitbeste Weg wäre, wenn der Staat seine Unternehmenssubventionen kürzen würde. Beides würde zur Finanzierung einer längeren Bezugsdauer bei den Älteren reichen.

Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München und lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität.
Das Gespräch mit ihm führte Dagmar Rosenfeld.