Ifo-Präsident sieht "Konjunkturampeln auf Gelb"

Interview mit Hans-Werner Sinn, Ad Hoc News, 01.01.2010

Sinn: Kredithürden für neue Investitionen und Arbeitsplätze sind weiter hoch

Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, sieht in den nächsten beiden Jahren «die Konjunkturampeln auf Gelb». Sinn verwies in einem ddp-Interview darauf, dass die im Rahmen der Konjunkturpakete bereitgestellten Mittel allmählich auslaufen. Zudem werde die Exportdynamik «moderat sein, weil sich die Konjunktur in den wichtigsten Hauptabnehmerländern nicht durchgreifend bessert». Mit Sinn sprach ddp-Korrespondent Jörg Säuberlich.

ddp: Wie ist Ihre Konjunkturprognose für das neue Jahr?

Sinn: Im Jahr 2010 und auch im Jahr 2011 bleiben die Konjunkturampeln auf Gelb. Zwar werden die endogenen Auftriebskräfte allmählich wieder etwas stärker, es laufen aber die im Rahmen der Konjunkturpakete bereitgestellten Mittel allmählich aus. Die Exportdynamik wird im Prognosezeitraum moderat sein, weil sich die Konjunktur in den wichtigsten Hauptabnehmerländern nicht durchgreifend bessert. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften bei weiterhin niedriger Kapazitätsauslastung nur wenig steigen. Zudem sind die Kredithürden für neue Investitionen und Arbeitsplätze weiter hoch. Bei den öffentlichen Bauinvestitionen werden die Konjunkturpakete zunächst noch weiter wirken, der bisher konjunkturrobuste Gewerbebau rutscht aber deutlich ins Minus.

ddp: Wie sieht es beim privaten Konsum aus?

Sinn: Einkommen und privater Konsum erhalten am Jahresanfang 2010 nochmals Impulse aus dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz und den bisher schon beschlossenen steuerlichen Entlastungen, danach wird aber die Dynamik verhalten sein. Ifo prognostiziert, dass das reale Bruttoinlandsprodukt bis zum nächsten Jahr um 1,7 Prozent zunehmen wird, wobei allerdings eine erhebliche Unsicherheit bestehen bleibt. Das Prognoseintervall für eine Wahrscheinlichkeit von 2/3 reicht von 0,9 bis 2,5 Prozent. Für das Jahr 2011 liegt der Mittelwert des Prognoseintervalls bei 1,2 Prozent. ddp: Welche Folgen der internationalen Finanzkrise erwarten Sie 2010 für den Arbeitsmarkt?

Sinn: Der bisher zu verzeichnende Arbeitsplatzverlust war im Vergleich zum Produktionseinbruch außerordentlich gering; die Zahl der Erwerbstätigen ist in den ersten drei Quartalen des Jahres 2009 saisonbereinigt lediglich um 114 000 gesunken. Verantwortlich für diesen Erfolg ist zum einen das Lohnzuschusssystem, das mit der Agenda 2010 eingeführt wurde, und zum anderen das Kurzarbeitergeld, dessen Laufzeit 2009 verlängert wurde und das ebenfalls ein Lohnzuschusssystem ist.

Der Arbeitsmarkt ist durch die verstärkte Inanspruchnahme von Kurzarbeit, den Abbau von Guthaben auf Arbeitszeitkonten und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit gekennzeichnet. Außerdem hat die Teilzeitbeschäftigung im Dienstleistungsbereich zugenommen, während Vollzeitarbeitsplätze in der Industrie abgebaut worden sind. Im Jahr 2010 dürfte die Beschäftigung nun aber stärker an das niedrige Produktionsniveau angepasst werden. Die Kurzarbeit wird abnehmen, dafür die Arbeitslosigkeit zunehmen.

Im Durchschnitt des Jahres 2010 könnte die Zahl der erwerbstätigen Inländer um 350 000 sinken, die Zahl der Arbeitslosen könnte um rund 180 000 auf 3,6 Millionen steigen - was sehr viel weniger ist, als man auf dem Höhepunkt der Krise, vor einem dreiviertel Jahr befürchten musste.

ddp: Welche Forderungen haben Sie in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung?

Sinn: Die Bundesregierung sollte zur Verbesserung der Investitionsdynamik wieder zur beschleunigten Abschreibung von Wirtschaftsgütern zurückkehren und außerdem die für das Jahr 2011 geplante Steuerreform auf das Jahr 2010 vorziehen. Vorrangig sind Maßnahmen zur Rekapitalisierung des Bankensystems, das in extremem Umfang von den Abschreibungsverlusten auf toxische Papiere amerikanischer Provenienz getroffen wurde.

Nur wenn die Banken mehr Eigenkapital erhalten, können sie die günstigen Kreditmittel, die die Notenbank zur Verfügung stellt, an die Firmen der Realwirtschaft weiterreichen. Da die Bankeigentümer selbst in dieser Situation wenig Anreize haben, neue Eigentümer hereinzuholen, muss der Staat die notwendigen Kapitalerhöhungen verbindlich vorschreiben und gegebenenfalls auch selbst finanzieren. Das Ifo-Institut stellt sich mit Nachdruck hinter die entsprechenden Forderungen des Sachverständigenrates und des Gemeinschaftsgutachtens der Wirtschaftsforschungsinstitute. ddp: Wie bewerten Sie die Pläne der schwarz-gelben Koalition für weitere Steuerentlastungen?

Sinn: Diese Pläne werden vom Ifo-Institut unterstützt. Allerdings sollten die Entlastungen um ein Jahr vorgezogen werden, um der Konjunktur eine weitere Stütze zu geben. Ab dem Jahr 2011 sollten diese Entlastungen durch eine Kürzung von Subventionen gegenfinanziert werden. Dabei bieten sich insbesondere die Subventionen zur Drosselung des C02-Ausstoßes an, denn diese Subventionen sind umweltpolitisch nutzlos, solange es nicht zu bindenden internationalen Vereinbarungen über eine gemeinsame Drosselung in allen Ländern kommt. ddp: Was halten Sie von der Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen?

Sinn: Diese Senkung entbehrt einer volkswirtschaftlichen Berechtigung. ddp: Wie bewerten Sie das Festhalten der Bundesregierung am Solidaritätszuschlag? Sinn: Der Solidaritätszuschlag sollte zum zwanzigsten Jahrestag der deutschen Vereinigung abgeschafft werden. Er hat sich überlebt.

ddp: Welchen Spielraum sehen Sie im neuen Jahr für Lohnerhöhungen?

Sinn: Für das Jahr 2010 gibt es bereits Tarifabschlüsse: Die Beschäftigten im Baugewerbe erhalten 2,3 Prozent mehr Lohn - und im öffentlichen Dienst der Länder erfolgt eine Stufenerhöhung um 1,2 Prozent. Im Durchschnitt werden die tariflichen Abschlusssätze 2010 niedriger ausfallen als 2009; angesichts der geringen Wirtschaftsdynamik besteht nur geringer Spielraum für Lohnerhöhungen. Außerdem kommt es zu einer negativen Lohndrift: Bei anhaltender Unterauslastung der Kapazitäten werden übertarifliche Leistungen abgebaut. Insgesamt steht im Jahr 2010 die Beschäftigungssicherung im Vordergrund.