Rentenkürzung für Kinderlose

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Kolpingblatt, 01.08.2003, S. 2

Im Vergleich mit den europäischen Nachbarn ist Deutschland in besonderem Maße von einem dramatischen Geburtenrückgang betroffen. Die daraus resultierenden Probleme der Rentenversicherung werden um das Jahr 2035 ihren Höhepunkt erreichen, wenn der größte Teil der noch stark besetzten Jahrgänge Rente bezieht. Wenn die Renten in Relation zu den Bruttolöhnen konstant gehalten werden und der Steueranteil der Rentenfinanzierung nicht steigt, erhöht sich der Beitragssatz zur Rentenversicherung von jetzt knapp zwanzig auf mehr als vierzig Prozent, und wenn die Beitrags- und Steuersätze konstant bleiben, halbieren sich die Renten in Relation zu den Bruttolöhnen. Innerhalb dieses Spektrums kann die Politik wählen, aber wie auch immer die Entscheidung lautet: Ein Kollaps des Sozialsystems ist kaum noch vermeidbar.

Was sind die Ursachen für die Kinderlosigkeit der Deutschen? Es ist zu vermuten, dass das System der umlagefinanzierten Rentenversicherung die demographische Krise, unter der es nun leidet, selbst verstärkt und mit hervorgerufen hat. Die Rentenversicherung ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit und die daraus entstehende Altersarmut. Auch wenn man selbst keine Kinder haben kann, muss man im Alter nicht hungern, weil man von den Kindern anderer Leute ernährt wird. Der gegenseitige Versicherungsschutz ist ein großer Vorteil für alle Beteiligten. Problematisch ist aber, dass er die ökonomischen Gründe für den Kinderwunsch aus der Familienplanung ausblendet, indem er die Leistung der Kinder an die vorangehenden Generation fast vollständig sozialisiert. Vor der Einführung der Rentenversicherung durch Bismarck war es auch in Deutschland üblich, Kinder zu bekommen, um den eigenen Alterskonsum sicherzustellen. Heute verbindet jedoch kaum einjunges Paar den Kinderwunsch noch mit der Frage, wie der eigene Lebensabend zu sichern ist.

Wenn nun die Deutschen weniger Humankapital' bilden, als es frühere Generationen taten, müssen sie als Ersatz Realkapital anhäufen, um so die mangels Nachkommen wegfallenden Rententeile zu ersetzen. Dies ist die richtige Überlegung, die zur Riesterrente und zur Rentenkürzung im Umlagesystem geführt hat. Die Riesterrente ist aber noch nicht zu Ende gedacht. Sie verringert die Fehlanreize für die Familienplanung nicht und führt zu kaum tragbaren Lasten bei denjenigen, die durch die Erziehung von Kindern bereits den vollen Beitrag zur Finanzierung der Umlagerenten leisten.

Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendige Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen fokussiert werden. Eine Kürzung der Rente auf die Hälfte scheint angebracht zu sein. Nur wer zwei Kinder und mehr großzieht, dem kann die umlagefinanzierte Rente im bisherigen Umfang erhalten bleiben. Die Beiträge sind demgegenüber nicht zu verändern, weil sie zur Finanzierung der jetzt Alten gebraucht werden. Bei der Rentenkürzung für Kinderlose dürfen allerdings die bereits aufgebauten Anwartschaften nicht angetastet werden. Es geht nur um die heute noch jüngeren Menschen. Sie haben Zeit genug, sich auf dem Wege des Riester-Sparens eine auskömmliche Rente zu sichern, falls sie keine Kinder haben können oder wollen.

Die Staffelung der Umlagerente nach der Kinderzahl ist nicht nur gerecht, sie wird darüber hinaus zu einer wünschenswerten Änderung der Familienplanung führen. Wenn Kinderlose beispielsweise 8% ihres Bruttoeinkommens für ein lediglich kompensierendes Riester-Sparen verwenden müssen, erhalten Kinder in der Lebensplanung wieder ein stärkeres Gewicht. Manch ein bislang noch unschlüssiges junges Paar wird sich unter diesen Umständen vielleicht doch für Kinder entscheiden.