Die Angst vor dem Geldumtausch lässt den Euro-Kurs fallen

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt, 06.11.2000, 2

Millionen Menschen im außereuropäischen Ausland wissen nicht, was sie mit dem Euro erwartet: Sie wechseln ihre D-Mark-Bestände in Dollar oder Pfund

Von HANS-WERNER SINN

Begonnen hat er mit 1,18 $ und zeitweise ist er schon deutlich unter 85 US-Cent gefallen: Der Euro macht kein gutes Bild in diesen Tagen. Die Japaner, die voller Hoffnung auf den Euro gesetzt hatten, haben sich nach langem Zögern und nach Abschreibung hoher Verluste enttäuscht zurückgezogen. Eine Trendwende bei der Kursentwicklung ist noch nicht in Sicht.

Vor einer übermäßigen Dramatisierung der Entwicklung sollte man sich hüten. Heute liegt der Kurs in etwa bei der deutschen Kaufkraftparität für einen US-amerikanischen Warenkorb, die bei etwa 85 US-Cent angesiedelt ist. Auch ist der Kurs noch lange nicht da angekommen, wohin die D-Mark bis zum Februar 1985 gefallen war, nämlich bei umgerechnet nur 56 US-Cent.

Dennoch ist der Kursverfall überraschend. Die Euro-11-Staaten exportieren mehr in die Welt als die USA, und die amerikanische Kombination aus einer versiegenden Ersparnis der privaten Haushalte und einem sehr hohen Leistungsbilanzdefizit von 3,6 Prozent des Sozialproduktes ist alles andere als Vertrauen erweckend. Warum nur fällt der Euro?

Er fällt, weil vielen, die europäische Währungen halten, der angekündigte Umtausch in den Euro nicht behagt. Manche haben Angst, altes gegen neues Geld zu tauschen, weil das alte Geld Schwarzgeld ist. Das gilt zumal, weil Banken den Umtausch eines größeren Betrages namentlich registrieren müssen, um Geldwäsche vorzubeugen.

Viele, wenn nicht: die meisten der Menschen außerhalb der Europäischen Union, die europäische Währungen halten, wissen zudem nicht, dass die Währungsunion bereits Realität ist. Man hört das Gerücht, dass die europäischen Währungen im Jahr 2002 wertlos werden und dass angeblich eine neue Währung an ihre Stelle treten wird. Aber man weiß nicht, wer den Umtausch vornehmen wird, und man fürchtet, ein schlechtes Geschäft zu machen. Sein Geld beizeiten in eine konkrete, sichtbare Währung wie den Dollar oder das Pfund umzutauschen erscheint unter diesen Verhältnissen als Gebot der Vernunft.

Zum Zeitpunkt der Einführung des Euro-Währungssystems zirkulierten allein von der D-Mark Zentralbankgeldbestände im Gegenwert von etwa 60 bis 80 Milliarden DM im Ausland. Diese außerordentlich großen Bestände entsprachen zwanzig bis dreißig Prozent der deutschen Geldbasis und acht bis elf Prozent der Geldbasis der Euro-11-Staaten Die vielen Tausend-DM-Scheine unter türkischen Matratzen zählten dazu genauso wie DM-Bestände, die in Kroatien, Slowenien und in anderen osteuropäischen Ländern offiziell als Transaktionswährung akzeptiert wurden und werden. Diese Gelder machen heute sicherlich ein Gutteil jener Bestände aus, an denen das Interesse der Geldhalter schwindet.

Häufig wird der Standpunkt vertreten, der Dollar-Kurs des Euros reflektiere schlechte Ertragserwartungen für die europäischen im Vergleich zu den amerikanischen Wertpapieren. Diese Erwartungen hingen selbst wiederum von der Konjunktur ab. Dieser Zusammenhang ist zwar vorhanden, aber weit weniger wichtig, als gemeinhin angenommen wird. Ertragserwartungen spiegeln sich bereits in den Zinsen und Kursen der Wertpapiere wider.

Der Europäschen Zentralbank bleiben vorerst nur Interventionen

Internationale Portfolio-Umschichtungswünsche bezüglich verzinslicher Wertpapiere führen nicht zu offenen Nettopositionen bezüglich der gewünschten Geldbestände, sondern nur bezüglich der Wertpapiere selbst Sie können nur die Kurse dieser Wertpapiere und nicht etwa die Währungskurse nachhaltig verändern. Währungskurse ändern sich nur, wenn offene Nettopositionen bezüglich der Bargeldbestände entstehen. Genau das ist der Fall, wenn viele Geldhalter ihre Bestände an westeuropäischen Altwährungen in Valuta wechseln wollen, die nicht vom Umtausch betroffen sind.

Der Kursverfall beim Euro hätte zu einem guten Teil vermieden werden können, hätte die EZB die neue Währung mit einem Schwung gleich am 1. Januar 1999 eingeführt. Dann wäre die Unsicherheit gar nicht erst entstanden. Die dreijährige Verzögerung zwischen dem angekündigten Tod des alten und der erwarteten Geburt des neuen Geldes war ein Konstruktionsfehler. Diesen Fehler kann man Wim Duisenberg nicht anlasten.

Die EZB sollte deshalb versuchen. den Zeitpunkt der Einführung des neuen Geldes vorzuziehen, soweit die technischen Möglichkeiten dafür bestehen. Sie sollte zudem klare Umtauschmodalitäten für Ausländer bekannt geben. Wenn die ausländischen Geldhalter den Euro wirklich in den Händen halten, werden sie von ihrer Unsicherheit befreit sein. Dann wird sich auch der Kurs des Euros erholen. Bis dahin bleibt keine andere Möglichkeit, als die ungeliebten Bargeldbestände zurückzunehmen, also am Devisenmarkt zu intervenieren, um den Euro-Kurs zu stützen.

Hans-Werner Sinn ist Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Der Professor für Nationalökonomie an der Universität München leitet zudem das dortige Center for Economic Studies.